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Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - Juli / August 2021
Liebe Leser*innen,
erschütterte Engagierte, blutige Böden, beschädigtes Inventar. Kurz nach dem organisierten Angriff von Neonazis auf den Kirmesverein in Ballstädt im Februar 2014 waren die Nachwirkungen spür- und sichtbar. Aus dem »Gelben Haus« der rechten Szene war der gewalttätige Übergriff auf die Vereinsmitglieder erfolgt, die auch beim Feiern sich von rechts distanzierten. Einer der Autoren des »der rechte rand« hielt wenige Zeit nach dem Angriff bei der kleinen Gemeinde in Thüringen einen Vortrag. Einige der Betroffenen stellten schon vor sieben Jahre die Frage, ob der Rechtsstaat endlich reagiert. Schnell und konsequent – an der Seite jener, die in der Provinz die humanistischen Werte und rechtsstaatlichen Normen vertreten und verteidigen?
Der Prozess in zweiter Instanz am Erfurter Landgericht offenbarte, was zuvor in ersten Instanz schon zu erleben war. In diesem »Fall«, wo Menschen zum Teil schwer verletzt worden waren, standen die Repräsentant*innen des Rechtsstaates nicht an der Seite der Betroffenen. Bereits vor Verhandlungsbeginn kam heraus, dass Staatsanwaltschaft und Gericht den elf angeklagten Neonazis Deals anbieten wollten. Sollten sie zugeben, beteiligt gewesen zu sein, würden ihre Haft- in Bewährungsstrafen umgewandelt werden. So wollte die Justiz die Neuauflage des Prozesses abkürzen und mit möglichst wenig Aufsehen ein selbstgeschaffenes Problem beenden. Diese Justiz-Farce spielten die Nebenklageanwält*innen nicht mit. Sie hielten keine Abschlussplädoyers. Bei der Urteilsverkündung beklagte sich die Richterin allerdings über die zivilgesellschaftliche Beobachtung, sprach von Angriffen auf die »richterliche Unabhängigkeit«. Dass in einem Rechtsstaat auch ein Gericht, auch die Staatsanwaltschaft nicht über dem Gesetz stehen, Kritik aushalten müssen, schien vergessen. Vergessen, wie die Tatsache, dass der Deal die Opfer erneut verletzt. Vergessen, wie das die Täter feiern werden. Nicht nur das Internationale Auschwitz-Komitee nennt das Urteil einen »Erfolg für die rechtsextreme Szene«, die den Kampf gegen Rechts konterkariert.
Von Wahlerfolg zu Wahlerfolg hat die »Alternative für Deutschland« die Anfeindungen im Bundestag, den Landtagen und den Stadt- und Gemeinderäten gegen Projekte gegen rechts forciert; Aktivist*innen angeprangert, versucht Gelder zu streichen. In dieser Auseinandersetzung fielen bei Repräsentant*innen staatlicher Institutionen immer wieder AfD-nahe Ressentiments und Positionen auf. Waren es einst »alte Nazis« in der Sicherheitsarchitektur, die den Opfern des Nationalsozialismus Rechte und Unterstützung verwehrten, sind es heute »Rechtsaffine« in diesen Architekturen, die jene Menschen, die gegen rechts aktiv sind, nicht nur alleine lassen, sondern auch angreifen. Die roten Linien gegen die rechtsradikale AfD haben aber eben genau diese Angefeindeten als erste markiert, durch Aktionen, Recherchen und Analysen – und nicht eine Staatsinstitution; erst der Druck bewegte sie.
Am 10. Juli verstarb Esther Bejarano. Die kleine Frau, die Auschwitz überlebte und so vielen große Kraft für den Kampf gegen rechts gab. Viel zu tun, nicht aufgeben – daran glaubte Esther. Sie wollte nach der Pandemie wieder auf die Bühne. Ihr Wunsch wird sich leider nicht mehr erfüllen.